Kommentar in der EMMA Jan./Febr. 2005, erschienen unter dem Titel: „Ist die Lesbe noch eine Waffe?“ Der Text bezieht sich auf die Versuche, der damaligen Kandidatin für das baden-württembergische Ministerpräsidentenamt, Annette Schavan, lesbische Neigungen anzuhängen. Schavan ist dadurch politisch kaum beschädigt worden.
Kann Heuchelei ein Fortschritt sein?
Das Lesbische im öffentlichen Bewusstsein der Republik
Kritik an Annette Schavan ist eigentlich nur an einem Punkt berechtigt: Ihr Dementi unterscheidet nicht. Schavan tat so, als wäre es tatsächlich eine Schande, lesbisch zu sein. Und nicht der Versuch, ihre sexuellen Beziehungen (oder Nicht-Beziehungen) zu instrumentalisieren, in ihrem Privatleben herumzuschnüffeln.
Erfreulicherweise holten dies dann etliche Kommentare nach: Nicht der Inhalt der Gerüchte, sondern die Absicht der Demontage sei schäbig und absurd, so der ‘Lesben- und Schwulenverband’. Oder die Financial Times Deutschland in einem Leitartikel: “Es ist völlig irrelevant, ob die Kandidatin Männer oder Frauen liebt oder aus privaten oder religiösen Gründen lieber alleine lebt. Es sagt nichts über ihre Befähigung als Politikerin aus … Solange es keinen Widerspruch zwischen ihrer Politik und ihrem privaten Handeln gibt, haben auch Politiker ein Anrecht, dass ihr Privatleben ihre Privatsache bleibt.”
Die Betrachterin reibt sich ungläubig die Augen: Ist mit der öffentlichen Vermutung, eine Frau liebe eine Frau, heute wirklich kein Stich zu machen? Selbst bei einer exponierten Politikerin wie Annette Schavan nicht? Landet mit dem Lesbischen nun eine der letzten ideologisch aufgeladenen Moralvorstellungen auf dem Kehricht?
Uneheliches Kind, unverheiratet zusammenleben, geschieden sein, schließlich eine gleichgeschlechtliche Beziehung, all diese “unnormalen” Verhältnisse verloren nach und nach den Ruch des Verwerflichen und werden nun - zumindest in den Verlautbarungen - als das behandelt, was sie sind: eine persönliche Angelegenheit. Das ist ein großer, großer Fortschritt, für viele befreiend von qualvollen Gewissensnöten, Unwertempfindungen und Scham.
Doch die so praktische Aufteilung: hie aufgeklärt, zivilisiert und liberal - da rückständig und ressentimentbereit; hie Stadt - da Dorf, erfasst nur einen Teil der Wahrheit. Damit ist nicht erklärt, warum Bild auf Seite 1 sensationslüstern aufmacht mit der Schlagzeile: “Deutsche Ministerin kämpft gegen Lesben-Gerüchte”, und auf Seite 2 und 3 die Gerüchte plus das Dementi breittritt. Wer es noch nicht wusste, und das waren bundesweit wohl die meisten, wusste jetzt: Bei Schavan ist irgendwas mit lesbisch. Die Gewichtungen offenbaren: Das Dementi Schavans war lediglich der Aufhänger, um das Gerücht zu bringen. Verlogen, scheinheilig, Bild eben.
Die Krux der vergleichsweise seriösen Beiträge war allerdings dieselbe: Indem sie das Gerücht thematisierten, trugen sie es weiter. Was auch geschrieben wird, es bleibt immer etwas hängen. Und es sprangen alle umgehend auf, auch wenn es vom Ton her so wirkte, als sprängen sie Schavan bei.
Annette Schavan: eine Intellektuelle, die nach der Macht greift. Der Jieper auf Details aus dem Privatleben so einer Frau ist nicht verwunderlich; auf Details, mit denen man sie unmöglich machen, erniedrigen, ausschalten, zumindest bremsen könnte.
Aber die Berichterstattung der letzten Tage zeigt: Es hat sich etwas grundlegend verändert. Die Qualifizierung einer exponierten Frau in der Öffentlichkeit als potenziell lesbisch, ruiniert sie nicht mehr automatisch. Es scheint offiziell Konsens zu sein: Die sexuelle Orientierung ist für eine berufliche Position nicht relevant. Jeder Artikel weist direkt oder indirekt das Vorurteil zurück, Homosexualität diskreditiere für ein öffentliches Amt. Wer eine Frau wie Schavan beschädigen will, kann das “Lesben-Gerücht” nicht mehr direkt als Waffe einsetzen.
Den auf solche Indiskretionen Jiepernden sind in gewisser Weise die Hände gebunden durch einen Konsens der Aufgeklärtheit, hinter den sie nicht zurückkönnen, ohne sich zu blamieren. Manche wohl auch nicht mehr zurückwollen. Dies ist auch insofern ein beträchtlicher Fortschritt, als die neue Umgangsweise auf das Bild von Frauen, die nicht klassische Weiblichkeit verkörpern, zurückwirkt, und zwar normalisierend.
Befinden wir uns also auf dem besten Weg in eine emanzipierte Zeit ohne vorgeschriebene und bewertete Geschlechterrollen, Sexualitäten, geschlechtliche Seinsweisen? Was sich in dieser Hinsicht abzeichnet, ist ernüchternd. In manchen städtischen Szenen und Vierteln nimmt an der Tatsache, dass eine Frau eine Frau liebt, zwar niemand mehr Anstoß. Anstoß genommen wird allerdings am Erscheinungsbild lesbischer Frauen bzw. am Klischee. Das von ihrem Erscheinungsbild. Lesben in Deutschland, so führt Katrin Raetz in der taz vom 10.11.04 aus, würden meist übersehen, hätten ein “Imageproblem”, “gelten als uncool”, langweilig und schlecht gelaunt, weil sie “statt lifestyligem Optimismus zu verströmen, in der Opferrolle” verharren. Das “disqualifiziert sie als Werbeträgerinnen” - für Raetz offenbar die Grundvoraussetzung eines “coolen” gesellschaftlichen Images.
Die Betrachterin reibt sich erneut ungläubig die Augen. So hat sie sich das nicht vorgestellt - statt des alten Geschlechtsrollenzwangs herrscht nun der neue Zwang zum “Styling”, Sichaufmotzen, denn jetzt gilt: cool, schrill, trendy, hip - CSD-Love-Parade forever! Und Lesben hängt nun an, was zuvor Feministinnen und davor “ohne Mann lebenden” Frauen anhing: Das Klischee, sie seien langweilig, prüde, hässlich, frustriert, humorlos, altbacken. Ohne Klischees und Konformitätszwänge scheint es nicht zu gehen. Dass diese sich an den herrschenden Markt- und Konsumwerten ausrichten,eine optimale Anpassung daran zeigen, wird in dieser Szene-Gegenwart nicht andeutungsweise kritisch gesehen.
In der Kampagne gegen Annette Schavan klingt noch der existenzvernichtende Ernst an, mit dem weibliche Identität bisher durchgesetzt wurde. Klingt an und verklingt. Die konsumistischen Markt- und Imagewerte kommen im Gegensatz dazu scheinbar witzig, spielerisch und unverbindlich daher. Aber sie führen offenbar Zwänge bisher unbekannter Art mit sich, die alles andere als komisch sind.